Selbst schuld
Für mich sollte dies aber noch lange nicht das
Ende sein. Den Winter über ging alles gut, ich war ja auch nicht
ständig im Verein gewesen. Aber als das Sommertraining wieder los
ging, fingen auch die Probleme wieder an. Er ließ einfach nicht
locker. Ständig kam es zu Situationen, in denen nur wir zwei uns
wieder gegenüber standen und er mich betatschte und küsste.
Irgendwann wurde mir das dann doch zu viel und ich erwähnte mal so
nebenbei in der Garderobe beim Umziehen nach dem Training, dass ich
ihn wohl doch anzeigen werde. Die Mädels waren etwas erstaunt, denn
sie hatten von den letzten Wochen nichts mitbekommen. Dann machte
eine den Vorschlag, es ihrer Mutter zu erzählen, die immer mit
einer vom Vorstand zusammen trainierte. Wir überlegten kurz und
entschieden uns dann doch, dass sie ihrer Mutter alles erzählen
sollte. Zuerst wollte die es nicht glauben, doch als sie erfuhr,
dass er eigentlich schon alles zugegeben hatte, hat sie es dann
doch geglaubt. Es dauerte auch gar nicht lange, da kam die eine vom
Vorstand auf uns zu und meinte, wir sollten dem Vorstand doch mal
unser Problem schildern. Wir Mädels einigten uns, dass wir
geschlossen als Trainingsgruppe zu diesem Gespräch gehen wollten,
der Vorstand (1 Frau und 3 Männer) war bis auf unseren Trainer, um
den es ja ging, ebenfalls vollzählig. Ja, und dann durfte ich vor
versammelter Masse haarklein und detailgetreu erzählen, was denn
eigentlich passiert sei. Einigen Mädels klappte die Kinnlade runter
als sie erfuhren, was wirklich passiert war. Denn bis dahin wussten
noch gar nicht alle Bescheid, was genau los war. Einer der Männer
meinte dann, dass ich ja selbst schuld sei, da ich eigentlich jeden
Tag im Verein war, auch wenn kein Training war. Schließlich stellte
sich heraus, dass ich nicht die Einzige war, der so was passiert
war, sondern dass er es bei zwei anderen Mädels auch versucht
hatte. Die konnten sich allerdings dagegen wehren. Jedenfalls
durften wir dann wieder gehen als alles gesagt war. Als nächstes
musste er sich dann dazu äußern und da er alles sofort gestanden
hat, haben sie ihn auch nicht weiter dazu befragt. Der Vorstand hat
sich dann beraten und entschieden, dass unser Trainer zu einer
psychologischen Beratungsstelle gehen soll, andernfalls würde der
Verein Anzeige beim Jugendamt erstatten.
Beim nächsten Wettkampf mussten wir uns dann abends auf der Tribüne
versammeln. Er brabbelte irgendwas von Entschuldigung und fragte
dann jede von uns, ob wir ihn unter diesen Umständen noch als
Trainer behalten wollen. Das war perfektes Timing. Man fährt zu
einem Wettkampf und wird dann vor so eine Wahl gestellt, eine Wahl
die eigentlich gar keine war. Denn entweder die Mädels hätten ja
gesagt und alles wäre so geblieben, oder sie hätten sich gegen ihn
entschieden und wären damit ihren Trainer losgeworden. Noch dazu in
einem Jahr, in dem sie ganz nach oben wollten. Zwar waren sich alle
einig, dass das Vertrauen jetzt weg sei, aber wollten alle bei ihm
weiter trainieren. Gnädigerweise fragte er sogar mich, aber was
hätte ich darauf wohl antworten sollen? Also hab ich gar nichts
gesagt. Ein paar Wochen später war er dann zu dieser Beratung
gewesen und damit war die Sache für ihn und den Vorstand erledigt.
Das war im Sommer 1995, also fast genau ein Jahr, nachdem er mich
das erste Mal begrapscht hatte. Wie es mir ging, interessierte
offenbar niemanden. Es waren alle nur froh gewesen, dass die Sache
ohne großes Aufsehen zu Ende gebracht wurde.